Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe - 
Landesverband Baden e.V.

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Forum I - Thema Spielsucht

Der Referent des Forums Spielsucht war der Leiter der Kraichtalkliniken Münzesheim und Oberacker, Herr Dr. Martin Beutel, der, nachdem das Thema Spielsucht ja bereits im Hauptvortrag im Mittelpunkt stand, sich in seinem Vortrag im Wesentlichen auf die Behandlung von Spielern im Therapiezentrum Münzesheim und der dabei gewonnenen Erkenntnisse konzentrierte. Dabei untergliederte er seinen Vortrag in drei Themenbereiche:

1. Spieler im Therapiezentrum Münzesheim
2. Spielsucht verstehen
3. Spielsucht behandeln

1. Spieler im Therapiezentrum Münzesheim

In Münzesheim werden seit 1984 Spieler therapeutisch behandelt. In dieser Zeit ist die Anzahl der behandelten Spieler pro Jahr kontinuierlich angestiegen und zwar von weniger als 5 im Jahre 1984 auf mehr als 110 im Jahre 2008. Einige der besonderen Merkmale der in der Einrichtung behandelten Spieler sind:

  • es sind nur Männer
  • das Durchschnittsalter beträgt 31 Jahre (im Vergleich: Alkoholiker 46 Jahre)
  • es gibt keine Unterschiede gegenüber Alkoholikern bezüglich Schulbildung und Arbeitslosigkeit
  • 13 % der Behandelten sind in Deutschland lebende Ausländer
  • 90 % der Behandelten betrieben Automatenspiel
  • die exzessive Spielphase dauerte durchschnittlich 5 Jahre
  • es wurden bis zu 100.000 Euro verspielt
  • 90 % der Behandelten sind verschuldet
  • die Schulden belaufen sich bis zu 35.000 Euro

Die Folgen des exzessiven Spiels äußerte sich bei den Patienten in Münzesheim u. a. wie folgt:

  • Kredit bei Familie, Freunden etc.
  • Materielle Not der Familie
  • 50 % der Behandelten verübten Straftaten zur Geldbeschaffung
  • 33 % der Behandelten wurden wegen Straftaten verurteilt
  • 33 % der Behandelten begingen einen Suizidversuch

2. Spielsucht verstehen

Eine Suchtkrankheit verläuft zwischen drei Polen:

a) Das Suchtmittel

Welchen Einfluss das Suchtmittel auf das Individium ausüben kann, ist abhängig von 

  • Soziokulturellen Faktoren (gesellschaftliche Akzeptanz, kulturfremde Drogen)
  • Attraktivität der Droge zur seelischen Struktur des Betroffenen
  • Art der Abhängigkeit

Zum Thema Attraktivität des Suchtmittels sind die strukturellen Merkmale von Glücksspielen von besonderer Bedeutung, wie z. B.

  • Ereignisfrequenz
    - Je schneller, desto größer das Suchtpotential
  • Auszahlungsintervall
    - Kurze Zeitspanne wirkt stärker belohnend
    - Kann schneller reinvestiert werden
  • Persönliche Beteiligung und Kompetenzanteile
    - Aktive Einbeziehung durch Start-, Stop- und Risikotaste
    - Bei Sport-, Pferde- und Börsenwetten tatsächliche Beeinflussung der Gewinnchancen
  • Variabilität der Einsätze und Gewinnchancen
    - Breites Spektrum ermöglicht, durch höhere Einsätze Verluste wieder auszugleichen bzw. Gewinne zu vervielfachen
  • Wahrscheinlichkeit des Gewinnens und Mischungsverhältnis der Ausschüttung
    - Gewinne müssen groß genug, aber auch wahrscheinlich genug sein.
    - Kleine Gewinne, die erst beim Risikospiel abstürzen, verdrängen das Bewusstsein für Verluste
  • Assoziation mit anderen Interessen
    - Wetten auf Sportereignisse
  • Art des Einsatzes
    - Kleine Beträge
     - Jetons
  • Ton-, Licht-, Farbeffekte
    - häufige Fast-Gewinne

b) Das Individuum (Persönlichkeit)

Zur Persönlichkeit des Suchtkranken wurde die Frage gestellt: Warum tun Menschen etwas, was sie selbst als zerstörerisch und gesundheitsgefährdend erkannt haben? Einige Antworten erhält man, wenn man danach fragt, was Spieler fühlen:

  • Spielen ist Kino für den Kopf
  • Beim Spielen kann jeder groß sein
  • Spielen verändert die Realität auf Zeit
  • Spielen verändert die Wahrnehmung der Realität (z.B. von Verlusten)
  • Phantasien von Wiedergutmachung
  • Reiz des Risikos

Wichtig ist hierzu auch die Aussage: „Spielen entlastet (genauso) wie andere Suchtmittel“

c) Umwelt

Die Spielsucht des Individuums hat Auswirkungen auf das soziale Umfeld, wie z. B:

Familie (erleidet materielle Not und Einschränkungen)

  • Freunde, Nachbarn (werden vernachlässigt)
  • Arbeitgeber (erhält einen unzuverlässigen Mitarbeiter)
  • Spieler finden Helfer
  • Spieler verlassen sich auf Helfer

Manche soziokulturellen Faktoren fördern bzw. erleichtern das Spielverhalten, wie z. B.:

  • Männer spielen
    - (Männer spielen generell häufiger als Frauen; dies erklärt, warum es fast nur männliche Spieler gibt)
  • Religion
    - (z. B. der Islam verbietet Alkohol, aber nicht das Spielen; dies erklärt den hohen Anteil an Ausländern bei den behandelten Spielern) 
  • Keine Kritik
    - (in vielen Kulturen ist die Kritik an Männern noch ein Tabu).

3. Spielsucht behandeln

In der stationären Therapie, welche das Therapiezentrum Münzesheim anbietet, gibt es u. a. 2 x wöchentlich eine Indikative Gruppe für Spieler, in welcher folgende Themen bearbeitet werden:

  • Aktuelle Konfliktsituationen
  • Verhaltens- und Freizeitperspektiven
  • Rückfallprävention

Es werden sowohl Einzeltherapien für Spieler als auch Familentherapien angeboten. Ziel einer jeden Therapie im Suchtkrankenbereich ist die Abstinenz. Die Frage „was bedeutet Abstinenz bei einem Spieler" ist aber nicht so einfach zu beantworten wie bei anderen Suchtmitteln. Sicher ist, dass jegliche Spiele um Geld kein abstinentes Verhalten darstellen. Wie aber sieht es aus bei Spielen ohne Geld, aber mit Tokens o.ä.? Familien- und Kinderspiele sind dagegen unproblematisch. Nach Ansicht des Referenten stellt auch Lottospielen kein Problem dar, da die Abstände zwischen den Einsätzen zu lang sind, um genügend Anreiz für ein süchtiges Verhalten zu bieten (siehe a) Das Suchtmittel - Attraktivität des Suchtmittels...).

Ein weiterer Themenkomplex, der in der Therapie behandelt wird, ist der Umgang mit Geld unter folgenden Gesichtspunkten:

  • Geld in der Tasche stellt besonders in der Anfangsphase der Abstinenz ein Risiko dar
  • Leben mit Einschränkungen (Privatinsolvenz)
  • Familiäre Schulden
  • Wer verwaltet das Geld?
  • Vertrauen, Rückfallkontrolle, Partnerschaft.

Zum Schluss des Vortrages gab es noch einen kurzen Ausblick auf mögliche Maßnahmen nach der stationären Therapie. Hier geht es vor allem um die Umsetzung der Therapieinhalte im Alltag. Diese kann unterstützt werden durch eine Nachsorgebehandlung (welche ambulant in einer Beratungsstelle stattfindet) und durch eine regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe.

Uwe Aisenpreis