Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe - 
Landesverband Baden e.V.

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Motivierende Gesprächsführung

Referat zum Mitarbeiterfachtag 2012

1. Einführung

Motivierende Gesprächsführung, nach der amerikanischen Bezeichnung Motivational Interviewing, im folgenden kurz MI genannt, ist ein Gesprächsführungskonzept, das helfen soll, Menschen bei Veränderungsprozessen zu begleiten.  MI spricht dabei eine Einladung zur Veränderung aus und vermeidet explizit Ratschläge, direkte Anweisungen, Lösungsvorschläge oder gar Schuldzuweisungen.

MI wurde ursprünglich entwickelt, um therapieunwillige Suchtklienten für eine weitergehende Behandlung zu motivieren. Der amerikanische Suchtforscher und Psychologieprofessor Bill Miller und sein britischer Kollege Steve Rollnick entwickelten aus der Praxis der Arbeit mit Suchtkranken, die häufig als schwierig, d.h. unmotiviert und widerständig gelten, diesen Ansatz, der sich in zahlreichen empirischen Untersuchungen als effizient erwiesen hat.

Ursprünglich als Vorbereitung für weitere Maßnahmen (z.B. Therapie) konzipiert, führte MI häufig ohne weitere Behandlung zu signifikanten positiven Veränderungen. 

2. Zum Begriff „Veränderung“ 

Veränderung kann oft ein ungewollter, komplizierter Prozess sein, der Widerstand herausfordert, wenn er von oben verordnet wird und die erste Reaktion der betroffenen Personen ist meist ambivalent, d.h. es sprechen gute Gründe dafür und ebenso gute Gründe gegen eine Änderung ihres bisherigen Verhaltens. 

… was kann schief gehen? Ein Beispiel…

KlientIn: Ich weiß, dass das nichts bringt.
TherapeutIn: Andere haben auch davon profitiert.
KlientIn: Für mich ist das nichts, das ewige Gequatsche über Alkohol.
TherapeutIn: Ich erklär' Ihnen das jetzt noch mal genauer.
KlientIn: Ach, das ist alles halb so wild, das hab ich im Griff.
TherapeutIn: Wie können Sie so etwas sagen.

Die Motivationsdevise in diesem Fallbeispiel lautet konfrontieren oder Überzeugungs- und Überredungskünste walten lassen. Kraftzehrende Interaktionssequenzen im Stile der „Konfrontations-Leugnungs-Falle“ lassen die Therapeutin immer mehr Argumente für eine Veränderung vorbringen und die Gesprächspartner sich immer geschickter gegen eine Veränderung sträuben.

Motivierende Gesprächsführung geht einen deutlich geschmeidigeren Weg. 

Die Grundidee, Menschen für Veränderung zu gewinnen und vorzubereiten, kann mit  dem Modell der Stadien der Veränderung (Transtheoretisches Modell) erklärt werden. Dieser Theorie zufolge verläuft menschliche Veränderung in Stadien - und unterschiedliche Stadien erfordern unterschiedliche Interventionen.

Das Transtheoretische Modell beschreibt den Prozess der Verhaltensänderung als das Durchschreiten von zeitlich und inhaltlich aufeinander aufbauenden Stufen der Verhaltensveränderung und bietet damit eine wertvolle Orientierungsstruktur für alle Berufsgruppen, die an gesundheitlichen Interventionen beteiligt sind bzw. für alle an Veränderungs- und Lernprozessen Beteiligten.

Die Stadien der Veränderung sind:

  1. Absichtslosigkeit: -> kein Nachdenken
  2. Absichtsbildung: -> Nachdenken
  3. Vorbereitung oder Zielfindung: -> Zielklärung 
  4. Handlung: -> Erwerb neuer Kompetenzen 
  5. Aufrechterhaltung: -> Integration in den Alltag 

Ein Zurückfallen („Rückfall“) ist auf jeder Stufe möglich.

Gehen die beiden Gesprächspartner, wie im obigen Gesprächsbeispiel, von unterschiedlichen Phasen der Veränderung aus - befindet sich die KlientIn noch in der Absichtslosigkeit, während die Therapeutin bereits zu einer Entscheidung kommen möchte - kann das Gespräch in die geschilderte „Falle“ gehen.

… wie kann es leichter und besser funktionieren?

3. Motivierende Gesprächs-führung / Motivational Interviewing

Es geht darum, auf geschmeidige, „mit dem Widerstand gehende Weise“ Patienten darin zu begleiten, dass sie das finden, was sie wirklich wollen und was ihnen gut tut. Die Methode ist empirischen Untersuchungen zufolge insbesondere bei anfänglich aggressiven und widerständigen Gesprächspartnern das einzusetzende Mittel der Wahl .

Zentrales Merkmal: Ambivalenz

Grundannahme des MI ist, dass Menschen in Bezug auf eine Änderung ihres Verhaltens nicht unmotiviert, sondern ambivalent sind. Die KlientIn, die im Gespräch äußert „Das hilft doch alles nicht weiter“ erschwert vordergründig das Gespräch durch ihren Widerstand, fühlt sich auf der anderen Seite vermutlich macht- und ratlos, den erwünschten Fortschritt zu erreichen. Nach Miller und Rollnick ist es gerade die Würdigung des widerständigen Anteils der Äußerungen, hier der Ratlosigkeit, die als notwendige Voraussetzung für die Entwicklung eines Veränderungsprozesses ihren Raum benötigt.

Im MI-Ansatz geht es deshalb um die Bewusstmachung und Reduzierung dieser Ambivalenzen, um eine Änderung zu ermöglichen.

Achtung für den Gesprächspartner, dem auf Augenhöhe begegnet wird, und dessen Autonomie nicht dem vermeintlichen Expertentum des Therapeuten geopfert werden darf, bestimmen die Grundhaltung, den „Geist“, in dem MI ausgeübt wird.

Zentrales Modell ist dabei die Ambivalenz des Patienten, dessen Vorteile seines bisherigen negativen Verhaltens explizit erkundet und gewürdigt werden, um so eine Öffnung auch für die Nachteile zu ermöglichen und Veränderungsmotivation (Ziel 1 des MI)  zu fördern.

Mit Empathie und ohne eigene Wertungen kann der Therapeut von dieser Motivation ausgehend beim Gegenüber eine innerlich verbindliche Ziel-, Weg- und Planfindung (Ziel 2 des MI) fördern.

Neben der genannten empathischen Grundhaltung und der Entwicklung von Diskrepanzen zwischen dem aktuellen negativen Verhalten und einem evtl. gewünschten zukünftigen Zustand ist es vor allem der Umgang mit Widerstand, der MI auszeichnet. Widerstand auf Patientenseite ist ein therapeuteninduziertes Problem bzw. Ausdruck der Behandlungsgestaltung durch den Therapeuten (z.B. Patientin will nicht überredet werden). Hilfreich ist es, den eigenen Reflex, Recht zu haben, zu bändigen.

Dabei ist der therapeutische Optimismus bzw. die Überzeugung, dass in jedem Menschen das Potential zur Veränderung steckt, grundlegend. Die Zuversicht des Patienten, Veränderung zu erreichen, kann vom Therapeuten gezielt hervorgelockt und gestärkt werden (vier Prinzipien des MI).

Diese Grundannahmen werden mit Hilfe von über sieben Methoden mit einer Vielzahl an Varianten in praktisches Handwerkszeug umgesetzt: 

  1. Offene Fragen stellen;  
  2. dem Klienten aktiv zuhören; 
  3. Verhalten oder Äußerungen des Klienten würdigen; 
  4. veränderungsorientierte Aussagen des Klienten fördern; 
  5. kompetent mit Widerstand umgehen; 
  6. Änderungszuversicht stärken; 
  7. zentrale Patientenausführungen zusammenfassen. 

Die „richtige“ Antwort zu finden ist abhängig von vielen Parametern wie dem Gesprächskontext, der Beziehung der Gesprächspartner zueinander, der Dringlichkeit des Problems, etc. Doch allein die Bandbreite an Alternativen gibt dem Berater Sicherheit und Handlungsspielraum und verringert das eigene Erschrecken vor dem Widerstand des anderen.

4. Resümee

Gerade dann, wenn scheinbar nichts mehr hilft, kann MI die Methode der Wahl sein. Die Verlangsamung der Gesprächsdynamik durch Methoden wie eine offene Fragen stellen, die den Gesprächspartner zum Aussprechen der eigenen Gedanken bringen, oder das aktive Zuhören, das kein sofortiges Fortschreiten des Gesprächs, sondern ein Innehalten beim gerade Gesagten bedeutet, sind ein Gewinn für die Gesprächsqualität und ermöglichen die Förderung der Eigenmotivation des Patienten.

Zudem ist für den Berater der burnoutpräventive Wert nicht zu unterschätzen. Gesprächsführende, die sich an widerständigen Gesprächspartnern abarbeiten, können iin angenehmer und konstruktiver Atmosphäre Verantwortung abgeben und MI als Bereicherung für den beruflichen Alltag erleben.

Andrea Commer

Andrea Commer ist Kommunikations- und Literaturwissenschaftlerin M.A., Übersetzerin, Zertifizierte Trainerin in Motivational Interviewing (Motivierende Gesprächsführung), Systemische Transaktionsanalyse (in Ausbildung), Gesellschafterin der GK Quest Akademie Heidelberg und Leiterin der Abteilung „Weiterbildung Sprachförderung“.

commer@gk-quest.de

Die GK Quest Akademie ist ein privates Fortbildungs- und Beratungsinstitut in Heidelberg. Es bietet ein umfangreiches Ausbildungsangebot, berät Organisationen bei der Implementierung neuer Methoden und Vorgehensweisen, unterstützt Fachkräfte in Experten-Netzwerken und hilft Teams, ihr Potential zu entfalten.

www.gk-quest.de