Leise und schön gruselig tief

Angehörigen-Seminar zum Thema „Familiengeheimnisse“

Zu zwölft begingen wir das Wagnis, Geheimnisse der dunkleren Art, nämlich unsere Familiengeheimnisse, zu lüften. Solche, die in disfunktionalen Familien herrschen. Familien,die es schaffen ihre Sucht (Trinken, Drogen, Spielen oder Depression) wie ein unsichtbares Gespenst vor der Außenwelt zu verbergen. Wir forschten, wie und warum das um alles in der Welt verborgen bleiben sollte und was daraus folgte. Außerdem sind die meisten von uns Kinder einer kriegstraumatisierten Generation.

Zuerst hielt Uta eine exzellente Einführung. Sie schaffte es, unsere bisherigen Lebenserfahrungen in eine große Klammer zu setzten. Sie fand klare Worte, konnte benennen, was uns schmerzt und holte uns mit sicherer Hand mitten hinein ins Seminar. Unser Kreis war sehr wach und nahm Uta‘s Sprungbrett mit großer Bereitschaft an. Sofort ging‘s ans Eingemachte: 

Familie: Was bedeutet sie für mich? - Was brauche ich, um mich in ihr wohlzufühlen? - Was könnte ich oder könnten andere Familienmitglieder dazu beitragen, dass Familie gelingt?

Fragen für ein Brainstorming in einem world-café. Spontane, ungefilterte Antworten wurden für mich zum Indiz, wo die Leichen im Keller liegen.

Beispiele:
Was bedeutet sie für mich? - Erpressung, schlechtes Gewissen,Traurigkeit.

Bei anderen: Sicherheit,Verantwortung,Liebe

Was brauche ich? - Interesse an mir, Rückzugsmöglichkeit, Humor, Zuneigung

Was könnte ich oder die anderen dazu beitragen? - Rücksicht, Offenheit, authentisch sein, abgrenzen können, konstruktives Streiten.

Auf diesem gut vorbereiteten Boden übernahm Barbara und setzte den Schaufelbagger an. Sie machte uns darauf aufmerksam, dass wir nicht in einer Therapiestunde sitzen, also Vorsicht. Barbara wurde auf einmal sehr ruhig, sehr klar, behutsam. Das hat sehr gut getan und wir wagten uns voran in die Welt der angenehmen, unangenehmen und geteilten Geheimnisse. Es wurde immer spannender. Schon allein die Aufschlüsselung der verschiedenen Geheimnisse war eine Wohltat. Wir tauchten ein in die Gefühle, die diese Geheimnisse auslösen. Die angenehmen blieben angenehm, die unangenehmen tun weh und die geteilten Geheimnisse verschaffen Erleichterung und Lebensqualität. Die Liste der Gefühle von den unangenehmen Geheimnissen war bei uns deutlich länger und sie sind auch nicht schön:

Zwiespalt
Unsicherheit
Angst
negativer Stress
benutzt fühlen
Bedrohung
Verletzung

In unseren Familien gab es Regeln: REDE NICHT - FÜHLE NICHT  - TRAUE NICHT

Es gab Forderungen: NIEMAND DARF MERKEN, WAS LOS IST -  SEI STARK,  GUT, PERFEKT - ICH KANN MICH AUF NIEMANDEN VERLASSEN

Welche Lösungsmöglichkeiten haben wir? REDEN - SCHAM ÜBERWINDEN - ROSA BRILLE ABZIEHEN

Achtung! Mit wem rede ich darüber? Ich mache mich verletzlich. Wer ist für solche Gespräche geeignet? Kinder brauchen sogar einen geschützten Rahmen,wenn sie reden wollen.

Wir kamen in eine Diskussion über Partnergespräche. Laut Statistik sprechen Erwachsene durchschnittlich nur 2,4 Minuten täglich miteinander, schauen aber zwei Stunden fern.

Wie kann ich meinen Gesprächsbedarf verwirklichen? Ich kann mein Bedürfnis klar äußern. Auch kann ich benennen, ob ich nur ein Ohr brauche oder doch einen Tipp von meinem Partner. Ich kann eine gute Basis schaffen für ein Gespräch in einer angenehmen Atmosphäre. Ich kann abwägen, ob mein Partner überhaupt aufnahmebereit ist. Manche Paare haben regelmäßig eine gemeinsame Zeit verabredet. Wir fanden heraus, dass Frauen oft Klärung in einem Gespräch finden, jedoch Männer sich lieber zurückziehen, nachdenken, sortieren.

Voraussetzung für ein konstruktives Gespräch ist, dass beide die Partnerschaft wollen.

Wie reden wir miteinander? (Ich- Botschaften). Beim Zuhören nicht in die Verteidigung gehen.

Fragen an uns: Wie sieht das aus, wenn ich mich freue?

Viele von uns haben Schwierigkeiten, ihre Freude nach außen zu kehren. Scham; sie sind gefangen; es ist ihnen peinlich, aus sich herauszu gehen. Sie wurden dazu erzogen, nicht zu übertreiben, zu verschwinden, nicht aufzufallen. Es sei denn, die positiven Gefühle, übernommen vom „Familienclown“, dienen dazu, dass die Familie überlebt.

Wie sieht es aus, wenn ich wütend bin? Einer von uns hat einen Boxsack. Eine bekam Schläge als Kind, wenn sie zornig war. Einige fressen ihre Wut in sich rein, bis sie platzen, meist an der verkehrten Stelle. Andere schlucken ihre Wut aus Harmoniesucht.

Ich kann lernen auszusprechen, was mich wütend macht. Es gibt keine guten oder schlechten Gefühle. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung; z.B. wenn ich meine Wut nicht spüre, laufe ich Gefahr, in eine Depression zu fallen.

Wie sieht es aus, wenn ich Angst habe?

Zurückziehen
Panik
Angststarre
Tunnelblick.

Wenn ich mich öffne, kann mir ein anderer helfen, den Blickwinkel zu ändern. Es hilft zu erfahren, dass nicht nur ich solche Gefühle habe (z.B. Flugangst).

Es ist wichtig, dass meine Gefühle von Nahestehenden ernstgenommen werden. Manche finden Halt im Glauben.

Resümee: Zu erfahren, dass die Geheimnisse meiner Ursprungsfamilie solche Auswirkungen auf mein Leben haben, hat mich sehr erschüttert. Ich war betroffen. Diesmal bin ich der Betroffene, nicht der Angehörige. Unfassbar die Wellen, die durchweg mein ganzes Familiensystem durchpflügen. Es ist höchste Zeit, das Ruder herumzureißen. Ich bin zutiefst dankbar für dieses „nur-einen(!!!)-Tag Seminar“, gehalten von zwei kompetenten Frauen, unterstützt von einem kompetenten Arbeitskreis. Mir persönlich hat die Arbeit mit „Insidern“ sehr viel mehr gebracht. Uta und Barbara wussten genau Bescheid, auf welchem Terrain sie sich bewegen. Ich war mitten im Zentrum meiner blinden Flecken und habe sie erkannt. Ich bin in einem Lernprozess, alte Verhaltensmuster loszulassen und in den Jordan zu schicken.

Claudia Olma