Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe - 
Landesverband Baden e.V.

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Prävention und Suchtbewältigung durch Liebe und Wertschätzung

Bericht vom Mitarbeiterfachtag des Landesverbandes am 18.04.2015

Nur 35 TeilnehmerInnen folgten der Einladung des Landesverbandes zum diesjährigen Mitarbeiterfachtag nach Mannheim. Dabei hatten die schönen Räumlichkeiten des gastgebenden Freundeskreises, der Mannheimer „Lotsen“ mit ihrem sehr großen Aufenthaltsraum sicherlich mehr als die doppelte Aufnahmekapazität zu bieten. Es ist speziell beim Mitarbeiterfachtag eine fallende Tendenz bei den Teilnehmerzahlen zu beobachten. Und im vorliegenden Fall lag das sicherlich nicht daran, dass die Veranstaltung weit im Norden des badischen Landes stattfand, denn auch Freundeskreise aus benachbarten Regionen waren nur spärlich vertreten.

Nach der Begrüßung durch Heiko Küffen, dem Ersten Vorsitzenden der Lotsen und durch den Vorsitzenden des Landesverbandes, Ludwig Engels, stellte der Referent,  Herr Joachim von Twardowski, sich und das Thema des Tages, vor. „Prävention und Suchtbewältigung durch Liebe und Wertschätzung“ ist nicht etwa eine neuartige Methode in der Suchtkrankenhilfe sondern ein vom Ausbildungsbeauftragten des Landesverbandes, Roland Kögel, vorgegebenes bzw. erwünschtes Thema mit der Aufgabe an den Referenten: „Mach mal was d'raus“. 

Aus dem Referat

Und so begann Herr Twardoski zunächst mal mit einer Begriffserklärung: „Was bedeutet Prävention?“ Auf der Internetseite des Blauen Kreuzes werden 3 Arten von Prävention unterschieden: 

  1. Primäre Prävention 
  2. Sekundäre Prävention
  3. Tertiäre Prävention

Zur primären Prävention gehören: 

  • Entwicklung und Stärkung des Selbstwertgefühls und des Selbstbewusstseins (Ich-Stärkung)
  • Förderung von psychosozialen Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Selbstachtung, Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, Sinnfindung und Lebensfreude 
  • Erziehung zur Konfliktfähigkeit 
  • Erlernen eines kontrollierten Umgangs mit Suchtmitteln, entscheidungsfähig werden, „Nein“ sagen lernen, Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen.

Die primäre Prävention beinhaltet das, was wir landläufig unter Vorbeugung verstehen und gilt für den am häufigsten vertretenen Personenkreis, der noch keine Suchtprobleme hat. 

Dagegen setzt die sekundäre Prävention bei Risikogruppen an, also bei bereits missbräuchlich konsumierenden Menschen oder akut Gefährdeten. 

Und zu guter Letzt hat die tertiäre Prävention das Ziel, auf bereits eingetretene Schäden durch Nachsorge und Rückfallvorbeugung einzuwirken. 

Wie wir aus Merkmalen der drei Präventionsarten leicht ersehen können, erweist sich diese Aussage als richtig: 

Vorsorge ist besser als Nachsorge.

Als nächstes machte der Referent deutlich, dass es bei seinem Vortrag jetzt nicht darum geht, Prävention für etwas so Anonymes wie „die Gesellschaft“ zu betreiben, sondern um den Einzelnen, der heute hier ist und Wissen und Information zu diesem Thema benötigt, also ums 

Ich!

Schau ich mir nochmal die Punkte an, die unter Primärer Prävention beschrieben wurden, stellt sich die Frage: Nur wo bin ich gerade? - Ist es dafür nicht schon zu spät? - Hätte man nicht viel früher anfangen müssen? -In der Kindheit? 

Für den einen oder anderen unter uns waren zur Entwicklung und Stärkung des Selbstwertgefühls Sätze wie die nachfolgenden nicht sonderlich hilfreich:

  • „Nur wer Leistung bringt ist was wert“ 
  • „Du musst funktionieren“ 
  • „Für Gefühle ist kein Platz“ 
  • „Jungs haben keine Angst“ 
  • „Frauen sollten sich unterordnen“ ...

Ist das Kind nun schon in den Brunnen gefallen? Es ist doch viel zu spät für eine glückliche Kindheit… Jetzt sind wieder die Eltern Schuld… 

Nicht nur an dieser Stelle sondern über das ganze Referat hinweg gab es immer die Möglichkeit, zu diskutieren. Zum Thema „Eltern und Schuld“ kam natürlich die Aussage des Referenten, dass von Schuld nicht gesprochen werden kann/sollte, da ja die Eltern mit ihren (manchmal zwar fragwürdigen) Erziehungsmethoden in der Regel keine negativen Absichten verbinden. Dennoch darf man darauf hinweisen, dass die persönliche Entwicklung eben so und nicht anders gelaufen ist. 

Ist „das Kind den Brunnen gefallen“, ist eine tertiäre Prävention angesagt. Verbunden mit der Nachsorge kommt die Rückfallvorbeugung. Hier folgte im Referat jetzt der Hinweise auf Selbsthilfegruppen, Nachsorgeeinrichtungen der Suchtverbände, hauptamtliche Suchtreferenten und kompetente ehrenamtliche Mitarbeiter. Unter anderem geht es auch dort   -  mit Ausnahme des Erlernens eines kontrollierten Umgangs mit Suchtmitteln - um all die Eigenschaften, die bei der primären Prävention aufgeführt sind. 

Hier folgte nun die nächtste Begriffserklärungen aus der Themenüberschrift: Liebe und Wertschätzung.

Liebe ist im Allgemeinen die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung und Wertschätzung, die ein Mensch einem anderen entgegenzubringen in der Lage ist. Der Erwiderung bedarf sie nicht. Liebe also zugleich als Metapher für den Ausdruck tiefer Wertschätzung. 

An dieser Stelle flocht der Referent jetzt eine erste Übung ein. Einige Freiwillige meldeten sich, mit der Aufgabe, sich auf eine Stuhlreihe zu setzen. Die übrigen Teilnehmer mussten an der Sitzenden vorbeiflanieren und Jeder/Jedem etwas Lobendes (Wertschätzendes) mitteilen (Beispiel: „Schön, dass du heute gekommen bist“, „Deine neue Frisur steht dir ausgezeichnet“, „Es gefällt mir das du lächelst“ etc.). Die so Angesprochenen durften darauf aber in keinem Fall antworten. Später konnten sie dann über ihre Gefühle dabei berichten und alle teilten sie mit, wie gut es ihnen getan hatte, diese lobenden Worte zu hören. Auch die „Lobredner“ konnten darüber berichten, dass ihnen beim Aussprechen eines Lobes nicht etwa „ein Zacken aus der Krone gefallen ist“. 

Im Grunde genommen hängen alle der unter der  primären Prävention erwünschten Eigenschaften mit der Wertschätzung durch andere aber vor allem auch mit der eigenen Wertschätzung bzw. Liebe zusammen. 

Liebe deinen Nächsten!!! 

Aber: kann man denn andere lieben, wenn man sich selbst nicht mag? Muss ich mich nicht erst um mich selbst kümmern, bevor ich mich um andere kümmern kann?

Daher: Liebe deinenNächsten...
...sowie dich selbst!!! 

Aber wir hatten doch gelernt:

  • „Nur wer Leistung bringt ist was wert“ 
  • „Du musst funktionieren“ usw.

Um von solchen Aussagen loszukommen, müssen wir obige Forderung umkehren: 

Liebe Dich selbst sowie du Deinen Nächsten liebst! 

Selbstliebe, auch Eigenliebe, bezeichnet die allumfassende Annahme seiner selbst in Form einer uneingeschränkten Liebe zu sich selbst. Das hat nichts mit Narzissmus zu tun. 

Narzissten sind nicht die Selbstverliebten, sondern die die sich nicht selbst lieben… 

Diese Aussage des Referenten war für einige der Teilnehmer (auch für mich) doch überraschend, daher habe ich den Begriff auch nochmal nachgeschlagen. Darüber gibt es natürlich seitenlange Abhandlungen. Als vereinfachte und griffige Definition habe ich u. a. diese Aussage gefunden (Wiki): 

Narzismus ist eine Charaktereigenschaft, bei der ein geringes Selbstwertgefühl durch übertriebene Einschätzung der eigenen Wichtigkeit und den großen Wunsch nach Bewunderung kompensiert wird.

Bei unserem Thema geht es aber gerade um die Stärkung des Selbstwertgefühls im Sinne von eigener Wertschätzung, eigener Liebe.

Die Annäherung an sich selbst gelingt am besten, wenn man sich an seine eigene Kindheit erinnert.In einer Meditation wurden die Teilnehmer jetzt dazu aufgefordert, das innerer Kind bei sich (wieder) zu entdecken. 

Anschließend demonstrierte der Referent am Beispiel eines 50 Euro-Scheins die Wichtigkeit, Dinge getrennt voneinander zu betrachten. Man kann einen solchen Geldschein von vorne und von hinten betrachten, man kann ihn falten, zerknüllen und auf den Boden werfen – äußerlich hat sich der Geldschein zwar verändert, seinen Wert bleibt aber immer derselbe.

Eigenliebe, Selbstliebe oder Akzeptanz oder wie auch immer geht ja gerade nur, wenn man auch die andere Seite kennt. 

Selbstliebe braucht Vergeben und Verzeihen.

Ich liebe mich obwohl ich: 

  • nicht perfekt bin 
  • nicht immer das richtige Sage 
  • kein Supermodel bin 
  • anderen weh getan habe 
  • andere enttäuscht habe 
  • Andere belogen habe, so wie mich selbst 
  • viele Fehler gemacht habe

Aussagen wie diese wurden dann in Kleingruppen nochmals durch persönliche Aussagen untermauert. 

Wichtig dabei ist auch die Erkenntnis: Ich kann meine Vergangenheit nicht ändern…Aber mein Gefühl ihr gegenüber!! 

Man kann die Dinge auch von einem anderen Blickwinkel – einer anderen Perspektive – betrachten.

Der Referent führte hierzu jetzt den Begriff Refraiming ein. Dieser leitet sich ab von dem englischen Wort  „Frame“ = Rahmen, Bilderrahmen. Reframing  bedeutet „neu einrahmen“; übertragen ist damit die Neubewertung oder Umdeutung einer Situation gemeint 

Der Perspektivenwechsel 

Beispiel: 

Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne hat mehr als 1000 Versuche gebraucht, diese zu entwickeln. Dazu wurde er von einem Journalisten gefragt: fühlten sie sich nicht als Versager bei jedem einzelnen Versuch, der misslungen ist? 

Edison: „ Versager? Nein- ich kenne jetzt mehr als 1000 Möglichkeiten, wie es nicht geht 

Reframing bedeutet aber nicht, alles durch eine rosarote Brille zu sehen, sondern durch eine neue positive Umdeutung der Situation oder problematischer Verhaltensweisen werden neue Kräfte aktiviert = Ressourcenaktivierung 

Ein kleines Wörtchen 

In vielen Fällen kann das unscheinbare Wörtchen “noch” eine sehr wirkungsvolle Bedeutungsveränderung bewirken: Wenn du z.B. von dir denkst “Ich kann das einfach nicht!” und darüber frustriert bist, dann füge einmal in diesen Satz das Wörtchen “noch” ein: 

“Ich kann das einfach noch nicht!” Spüre nun nach, wie sehr sich der Satz verändert – Das ist Reframing. 

Oder: Das Wörtchen ABER durch UND ersetzen

und hilfreich ist auch 

Die VW-Regel 

(Aus Vorwurf wird Wunsch) 

Reframing meint also die Umdeutung von Problemverhalten und –erleben: So können aus Schwächen Stärken entstehen!! 

Ist es also doch: „Nie zu Spät eine glückliche Kindheit zu haben?“ Und wozu das Ganze??? 

Weil ich es mir Wert bin! 

Zusammenfassung

Das A und O zur Vermeidung einer Suchterkrankung ist die Entwicklung zu einem starken Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein. Diese Entwicklung findet in der Regel in der Kindheit statt. Wo dies nicht stattfinden konnte, „ist das Kind noch lange nicht in den Brunnen gefallen.“ Durch Änderung der Betrachtungsweise kann die eigene Wertschätzung, die Eigenliebe wieder entdeckt oder neu erlernt werden. Hierzu bedarf es aber eines ständigen Lernprozesses, der in entsprechenden Therapien angestoßen und in Selbsthilfegruppen ständig geübt und weiterentwickelt werden kann.

Uwe Aisenpreis