Lebendige Gruppe durch Konflikte?

Freundeskreis Seminar in Bad-Herrenalb vom 05.-07. November 2010

Kurzgeschichte Zwei Wölfe

Ein alter Indianer saß mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: „Weißt du, im Leben ist es oft so, als ob zwei Wölfe im Herzen miteinander kämpfen. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend."

„Welcher der beiden gewinnt den Kampf um das Herz?" fragte der Junge. „Der Wolf, den man füttert." antwortete der Alte.

Selbsthilfegruppen und Konflikte

Selbsthilfe besteht darin, seine eigenen Möglichkeiten zu ergreifen, seine eigenen Ressourcen zu finden, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen und es selbst in die gewünschte Richtung zu lenken. Bei der Selbsthilfe geht es darum, einen Prozess in die Wege zu leiten - vom passiven (Hilfs)-Empfänger hin zum aktiven Teilnehmer im eigenen Leben und dem Ziel „Zufriedene Abstinenz".

In der Gruppenarbeit ist Offenheit die Voraussetzung dafür, Konflikte zu erkennen, sie zu definieren und ggf. zu intervenieren. Nicht erkannte bzw. schwelende und/oder nicht ausgesprochene Konflikte verursachen auf lange Sicht Probleme in der Gruppe. Auswirkungen wie Stillstand, Rückfälle, Streit gefährden die effektive Arbeit sowie die Gruppenordnung. Die einzelnen Gruppenteilnehmer benötigen zur Konfliktfähigkeit Ehrlichkeit, Toleranz, Akzeptanz und klare Gruppenregeln.

Definition: Konflikt

Der Begriff entstammt dem lateinischen Terminus „conflictus" und meint „Zusammenprallen". Es prallen mindestens zwei Tendenzen bzw. Akteure zeitgleich zusammen, wollen Unvereinbares verwirklichen und erzeugen Handlungsdruck. Ein Konflikt ist nicht objektiv vorhanden, sondern nimmt im subjektiven Erleben seinen Ausgang und zeigt sich als sozialer Prozess im Verhalten.

Ein Konflikt ist gekennzeichnet durch:

  • mindestens zwei Parteien
  • Vorhandensein eines gemeinsamen Konfliktfelds/einer Spannungssituation
  • Existenz unterschiedlicher Handlungsabsichten und Meinungen
  • Versuch, unvereinbare Handlungspläne zu verwirklichen
  • Entwicklung negativer Gefühle
  • Uneinigkeit und Disharmonie

Konflikte sind unvermeidbare Begleiterscheinungen von Gruppenleben, da bei Verhandlungen über Vorgehensweise und dem zu erzielenden Ergebnis verschiedene Personen und Meinungen aufeinander treffen (prallen).

Verschiedene Arten von Konflikten können sein:

  • Rollenkonflikte
  • Entwicklungskonflikte
  • Konkurrenzkonflikte
  • Rangkonflikte
  • Gruppeninterne Beziehungskonflikte
  • Normkonflikte
  • Konflikte über Rituale, Belohnungs- und Sanktionsmechanismen
  • Innere Konflikte (Konflikte mit sich selbst)

Die Ursachen innerer Konflikte, tiefenpsychologisch betrachtet, entstehen aus dem inneren Kampf zwischen dem Trieb und Lustimpuls (ES) und der Erziehung zur Selbstkontrolle und der Disziplin (ICH und ÜBER-ICH). Grundsätzlich unterscheidet man zwei Konflikte: zwischen zwei oder mehreren Personen oder einem Konflikt mit sich selbst (interpersoneller Konflikt).

In den Selbsthilfegruppen finden sich vorwiegend sozial geprägte Konflikte, an denen mehrere Parteien beteiligt sind. Zu erkennen sind diese unter anderem an:

  • Grüppchenbildungen
  • wechselseitigem Herabsetzen von Leistungen, Verhalten und Argumenten
  • Gespannter Atmosphäre
  • Blockieren von Aktionen, Entscheidungen und Initiativen
  • Vertrauensschwund

Zwischenmenschliche Konflikte sind in ihrer Entstehung in vier Ebenen eingeteilt:

  • Dissonanzen in der Sache
  • Dissonanzen in der Beziehung
  • Konflikt über den Konflikt
  • Konflikt über die Konfliktlösung

Das Wahrnehmen und Erkennen sowie die Benennung von Konflikten kann durch Vorurteile, persönliche Einstellungen, unterschiedliche Zielvorstellungen und/oder verschiedene Wert-Normvorstellungen erschwert werden.

Ist eine Gruppe in der Lage, Konflikte möglichst objektiv und sachlich anzusprechen, sind folgende Entwicklungen für die Gruppe möglich:

  • Innovation
  • Kreativität
  • Diskussionen führen zu Produktivität
  • Herausforderung bestehender Normen und Entscheidungsfindungen
  • Steigende Kohäsion (Zusammenhalt)
  • Starke soziale Identität wird entwickelt
  • Höhere Standards, höhere Motivation, höhere Ziele

Im Umkehrstatus könnten auch negative Folgen daraus entstehen:

  • Wettbewerb
  • Negativ, sofern keine positiven Beziehungen zueinander bestehen
  • Feindbilder werden entwickelt, verstärkt und stereotypisiert
  • Interaktion zwischen Gruppen wird reduziert
  • Aus einer Mücke wird ein Elefant gemacht

Hilfreiche Mittel zur Konfliktwahrnehmung und -klärung können sein:

  • Übergeordnete Ziele erreichen „win-win-Methode"
  • Praktizierte Kooperation und Kommunikation
  • Informationen austauschen (offen und positiv)
  • Vertrauen schaffen
  • Gegenseitige Hilfe
  • Individuell motivieren
  • Verhandlung
  • Angebot oder Gegenangebot austauschen
  • Intervention Dritter (Schiedsgericht - Arbitration und/oder Vermittlung - Mediation)

Hinreichend bekannte, häufig praktizierte Verhaltensweisen bei der Konfliktbewältigung sind zunächst:

  • Fluchtverhalten
  • Vernichtung
  • Unterwerfung bzw. Unterordnung
  • Delegation an eine dritte Instanz
  • Kompromiss
  • Konsens

Werden Konflikte transparent und konstruktiv diskutiert, werden Unterschiede bewusst, steuern sie das Gruppenverhalten, erzeugen und entwickeln Komplexität und sorgen im Idealfall für Gemeinsamkeiten im Zusammenleben. Die positive Entwicklung sorgt für Identität (Personen und Gruppe), Veränderungen und Weiterentwicklungen und stabilisiert das Bestehende.

Um Konflikte zu einem positiven Ergebnis zu leiten ist die Schlüsselkompetenz Konfliktfähigkeit die Voraussetzung. Das Wahrnehmen und Erkennen eines Konfliktes und diesen zu benennen erfordert Mut, Neugier und eine grundlegende Offenheit zur Klärung der Situation.

Die Einstellung der betreffenden Personen/Gruppen zum Thema Konflikte (Konflikte sind weder gut noch schlecht) ist daher von wesentlicher Bedeutung. Wird ein Konflikt als prinzipielle Möglichkeit für „neues und besseres Tun" und der Weiterentwicklung im dynamischen Gruppenprozess betrachtet, fördert dies Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und positive Beziehungsgeflechte. Die Schwierigkeit besteht erfahrungsgemäß darin, die unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen der beteiligten Personen in Akzeptanz zu bringen.

Hilfreich zur Konfliktbewältigung sind folgende Fragestellungen:

  • Um was geht es?
  • Wie beschreiben die Parteien die Situation?
  • Wie entstand der Konflikt?
  • Wer streitet?
  • In welcher Beziehung stehen die Kontrahenten zueinander?
  • Wie begegnen sich die Parteien?
  • Zu welchen Verhaltensweisen sind die Parteien fähig und bereit, den Verlauf mit zu gestalten?
  • Wie wird das Ende definiert?
  • Sind die Kontrahenten bereit zur Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung?

Um das Konfliktgeschehen konstruktiv zu bewältigen, bedarf die Konfliktbehandlung in der Praxis einer guten Moderation. Der Moderator kann gemeinsame strittige Punkte auflisten und die jeweiligen Anliegen zusammenfassen bzw. strukturieren. Dadurch wird „Verbindendes und Trennendes" (z.B. durch schriftliche Auflistung) transparent und eine gesunde Basis für Lösungsmöglichkeiten geschaffen. Ohne soziale Kompetenzen (wie beispielsweise Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Koordinationsfähigkeit, Rollenflexibilität, Empathie, Selbstreflexion, Kompromissfähigkeit etc.) erscheint die Konfliktbearbeitung kaum erfolgreich. Die Gruppenleiterrolle erfordert dabei das Bewusstsein der eigenen Rolle, Wertneutralität und ein hohes Maß an Selbstreflektion. Verhandeln, Regeln vereinbaren, Grenzen klären und respektieren bilden diesbezüglich die Basis der Konfliktklärung.

Um Konflikte friedlich zu lösen ist es unabdingbar, Aussagen zu konkretisieren und Bedürfnisse, Wünsche und/oder Ideen zu äußern. Soziale Ängste wie Situationen aus dem Weg zu gehen, Unstimmigkeiten mit Schweigen zu begegnen, eigene Bedürfnisse nicht wahrzunehmen, verursachen Wut und Ärger und haben nicht selten Eskalationen zur Folge. Ein echtes Miteinander erfordert die Konzentration auf die gewünschten Gemeinsamkeiten. Freude am Leben, Akzeptanz, Vertrauen, Wertschätzung, Sicherheit sind universelle Werte, die Menschen miteinander teilen. Das ungewohnte Aussprechen von Bedürfnissen erfordert Mut, Übung, Verständnis und ein geeignetes, respektvolles Umfeld.

Anschuldigungen und Vorwürfe verhindern diese Offenheit und die Möglichkeit der Konfliktbewältigung. Konfliktvermeidende Haltungen entstehen durch die Angst, Ablehnung zu erfahren, Angst, angegriffen zu werden oder der Angst, nicht mehr beliebt zu sein. Mutiges und selbstbewusstes Handeln stehen diesem Verhalten entgegen und ermöglichen durch die Konfliktbewältigung einen gesunden Prozess und eine positive Fortentwicklung für Personen und Gruppen in der Selbsthilfe.

Cornelia Breithaupt