...und täglich grüßt das Suchtgedächtnis

Einführungsreferat zum Mitarbeiterfachtag am 27.04.2008

gehalten von Hans Peter Schu

Alles was wir täglich erleben - und auch das, was wir im gerade begonnen Jahr erleben werden - wird Spuren in unserem Gedächtnis hinterlassen. Diese Spuren sind unterschiedlich intensiv (tief), unterschiedlich komplex und auch unterschiedlich wirklichkeitsnah gespeichert.

Manche Erlebnisse haben sich quasi eingebrannt, so zum Beispiel ein erlebter Unfall, sagen wir das Platzen eines Reifens auf der Autobahn. Man vergisst diese Dinge nicht so schnell. Sie sind gegen Löschung weitgehend resistent. Daneben gibt es andere Erfahrungen: beispielsweise kann es uns schwer fallen, uns auf Anhieb zu erinnern, was wir gestern zu Mittag gegessen haben.

Das Suchtgedächtnis hat einige Besonderheiten:

1. Das Suchtgedächtnis lügt! Das heißt, es vermittelt nur Teilwahrheiten über das tatsächliche Suchtgeschehen. Es sind nur die belohnenden Aspekte repräsentiert und nicht die in der Regel überwiegenden negativen Folgen des Suchtverhaltens. Die verzerrten Informationen des Suchtgedächtnisses sind somit bestens geeignet, so genannten Suchtdruck zu aktivieren, in dem tatsächlich nur die verlockenden Aspekte des Suchtmittelkonsums vermittelt werden. Das heißt, das Suchtgedächtnis verhält sich wie ein Gebrauchtwagenverkäufer, der nur die enormen Vorzüge des Fahrzeugs schildert und alle Mängel irgendwie vergessen hat.

2. Das Suchtgedächtnis ist nicht zu löschen. Es kann durchaus täglich grüßen und, wie wir wissen, auch nach Jahren der Abstinenz einen Rückfall anstoßen, der wieder alles aktiviert, was eventuell jahrelang geschlummert hat: Alte Konsummuster, alte Ausreden, alte, scheinbar längst überwundene Probleme - und ähnliches Leid wie damals. Das Suchtgedächtnis ist nicht zu löschen, aber in der Aktivierung von Suchtverhalten zu hemmen, was ständig nötig ist.

3. Suchtgedächtnisimpulse sind zum Teil unbewusst, gerade das macht die Impulse gefährlich. Das kann man heutzutage nachweisen, indem man bildgebende Verfahren verwendet, wie zum Beispiel die Kernspintomographie. Das Verfahren ermöglicht es, dem Gehirn quasi beim Wahrnehmen, Denken, Fühlen zuzusehen. Durchgeführt wurde dies beim ZI in Mannheim. Man zeigte einem Suchtkranken das Bild eines schäumenden, gut gezapften Bieres. Es ereignete sich beim Suchtkranken eine verstärkte Aktivität im Belohnungszentrum des Gehirns. Diese Gehirnaktivität war nur bei Suchtkranken erkennbar, und zwar auch nach längerer Abstinenz. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Aktivität bestimmter Hirnareale sich auch dann darstellte, wenn die Personen überzeugt davon waren - und dies auch äußerten -, dass ihnen der Anblick des Getränks gleichgültig sei. Das macht deutlich, dass Suchtverlangen auch unbewusste Anteile hat.

4. Wenn süchtiges Verhalten gelernt wird, so ist das ein prägungsartiger Prozess. Im Suchtgedächtnis wird die Suchtmittelwirkung, also positive Effekte, wie Euphorie oder negative Effekte, wie Angst oder Stress quasi eingebrannt. Gespeichert wird die sinnliche und gefühlsmäßige Attraktivität der Droge. Der weitere Punkt, den ich über das Suchtgedächtnis sagen möchte, ist, dass es nicht wirklich zu löschen ist, auch wenn es mal aktiver, mal weniger aktiv ist und im Verlauf längerer Abstinenz auch einmal einige Zeit den Mund hält. Viele Lernerfahrungen verblassen nach einiger Zeit. Der Tiger springt zum Beispiel nicht mehr durch den Reifen, wenn der Dompteur ihn nicht belohnt. Das Suchtgedächtnis besitzt jedoch die Gnade des Vergessens nicht. Was einmal dort eingegangen ist, ist dauerhaft vorhanden und durch bestimmte Reize schneller präsent als die Erinnerung an irgendwelche Vokabeln, die man einmal gelernt hat.

Was kann man dieser lebenslangen Fixierung entgegensetzen? Da das Suchtgedächtnis nicht zu löschen ist, gilt es, ihm etwas entgegenzusetzen, es zu hemmen, und das muss regelmäßig geschehen über lange Zeit. Deswegen ist es wichtig, wöchentlich regelmäßig eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Es gilt aus der Reflexion der eigenen Erfahrungen mit der Abstinenz und anhand der Erfahrungen der anderen, den immer noch als belohnend gespeicherten Trinkerinnerungen etwas entgegen zu halten. Es gibt also nur einen Grund, einmal nicht in die Gruppe zu gehen, und das ist die eigene Beerdigung. Wenn ihr vorher lange zur Gruppe gegangen seid, wird die Gruppe euch dabei begleiten.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen erfolgreichen Tag.