Co-Abhängigkeit

43. Besinnungstag des Blauen Kreuzes Heidelberg war gut besucht.

Nach der Begrüßung des örtlichen Gesangvereins zu Beginn des Gottesdienst in der Evang. Kirche Heidelberg-Kirchheim musste der Pfarrer am 19.03.06 noch fragen, ob wohl vom Besinnungstag des Blauen Kreuzes, der im gegenüberliegenden Gemeindehaus stattfindet, auch Gäste im Gottesdienst sind. Nach dem Gottesdienst war es dann klarer, denn auf der Kirchentreppe scharten sich in zahlreichen Grüppchen eifrige Raucher. Der Begrüßungskaffee im Gemeindehaus musste noch warten, bis ein wenig „frische Luft“ getankt war. Vertreter der Suchtkliniken boten in verschiedenen Räumen Gesprächsrunden an, bevor das Mittagessen ausgegeben wurde. „Soviele Gäste zum Essen hatten wir schon lange nicht mehr,“ war das Fazit eines Verantwortlichen, der neben dem Schöpfen der Nudeln auch noch das Kassieren des Essensgeldes zu bewältigen hatte.

Der Saal füllte sich bis auf den letzten Platz. Und nach den Grußworten wurde mit Spannung das Referat von Thomas Kölli, Leiter der Tagesklinik in Ulm, erwartet. Fachmännisch, fundiert und hinterlegt mit praktischen Beispielen konnte Herr Kölli aufzeigen, welche Phasen den Weg in die Co-Abhängigkeit markieren. Zunächst versuchen Angehörige, dem Suchtkranken Erleichterung zu verschaffen. Sie übernehmen Aufgaben des Kranken und verdrängen eigene Gefühle. In der zweiten Phase versuchen die Angehörigen, Kontrolle über das Suchtverhalten zu gewinnen. Flaschen und Trinkverhalten werden kontrolliert. Macht ist im Spiel, bevor in der dritten Phase die Angehörigen deutlich mit der Situation überfordert sind und mit Resignation zu kämpfen haben.

Typische Rollen in Familien mit Suchtkranken werden auch von den Kindern eingenommen. Da gibt es den Helden, der die Schwächen der anderen als Ansporn nutzt um seinen Weg vorbildlich und heldenhaft zu meistern. Dem schwarzen Schaf kommt die Rolle zu, durch eigenes problematisches Verhalten von der ursächlichen Not in der Familie, dem Alkohol abzulenken. Das ruhige Kind verhält sich in seiner Unsicherheit möglichst unauffällig. Es hat Angst vor den Folgen, wenn es Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schließlich gibt es noch den Clown, der es immer wieder versteht, die angespannte und unerträgliche Situation mit seiner Komik aufzulockern.

Um aus der Co-Abhängigkeit heraus zu kommen, sind Schritte notwendig, die Herr Kölli beschrieb mit: Die eigene Helferidentität erkennen, die Sinnlosigkeit der bisherigen Investitionen an Kraft und Energie eingestehen, die Abhängigkeit von dem Gefühl: „Ich werde geliebt“ aufgegeben.

Schließlich unterstrich der Referent seine Thesen mit einer eindrücklichen Geschichte. „Auf einer Brücke begegnen sich da ein Wanderer und ein Mann mit einem langen Strick um den Leib. Der Mann mit dem Strick bittet den Wanderer, das Ende des Seils zu halten und stürzt sich sogleich über das Geländer der Brücke, wo er über dem Wasser schweben bleibt. Er weiß nichts anderes, als hartnäckig den Wanderer für sein eigenes Leben verantwortlich zu machen. Dieser spürt, dass er die Verwantwortung nicht tragen will und eigentlich für seine Wanderung andere Ziele hatte. Schließlich fordert er den Mann am Seil auf, sich selbst am Seil hochzuziehen, solange er es noch hält. Als der Hängende keine Anstalten macht, auf die Brücke zu kommen und stattdessen weiter dem Wanderer die Verantwortung aufdrängen und ein schlechtes Gewissen einreden will, lässt der Wanderer das Seil los, um seinen eigenen Weg wie geplant fortzusetzen.“

Ich gehe den zerstörerischen Weg nicht länger mit. Ich lasse meine Allmachtsgefühle los. Ich überwinde meinen Stolz und such mir selbst Hilfe. Ich suche Kontakt mit meinen eigenen Gefühlen wie Wut, Trauer, Schuldgefühlen. Ich versöhne mich mit meiner Lebensgeschichte und meinem Gewordensein. Ich arbeite an einem stabilen Selbstwertgefühl. In einer guten Art konnte Herr Kölli zeigen, dass Hilfe zu einem stabilen Selbstwertgefühl auch in der Begegnung mit Gott liegen kann. Er ist für euch da. Er hat ein großes Herz und eine große Liebe. Er vergibt und er will von zerstörerischen Mächten und Abhängigkeiten frei machen.

Ein Chor in farbenfrohen Gewändern umrahmte mit seinen afrikanischen Liedern den Vortrag und erntete viel Beifall. Eindrücklich waren die persönlichen und sehr ehrlichen Berichte von zwei Betroffenen, die schilderten, wie sie mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin den Weg durch die Sucht in die Abstinenz erlebt haben. Vieles vom Vortrag fand sich in diesen Berichten wieder.

Nach Kaffee und Kuchen standen die Ehrungen für langjährige Abstinenz an. Gerade die Tagesgäste, die aus Suchtkliniken und Therapien angereist waren, verfolgten die Auszeichnungen gespannt, denn damit wurde ihnen mutmachend vor Augen gestellt, dass man zehn, fünfzehn und zwanzig Jahre ohne Alkohol zufrieden leben kann.

Mit dem Zuspruch des Segens wurden die Besucher des 43. Besinnungstages des Blauen Kreuzes Heidelberg verabschiedet.

Harald Becker