Kindergruppe Regenbogen
Eine erfolgreiche Initiative wurde zur dauerhaften Einrichtung
Angehörige“ – ein in der Suchthilfe häufig gebrauchter Begriff! In Erscheinung treten aber bei den Hilfsangeboten in aller Regel die Partner, manches Mal auch die Eltern der Abhängigen. Die Kinder, obwohl sie die Leidtragenden sind, die dem Problem Suchtfamilie nicht ausweichen können, tauchen kaum auf. Die Kindergruppe Regenbogen, ursprünglich ein Projekt, das von der Diakonischen Suchtberatungsstelle Karlsruhe und dem Freundeskreis Karlsruhe initiiert wurde, existiert mittlerweile als dauerhaftes Arbeitsgebiet seit Januar 1997 und soll hier helfend eingreifen.
Lutz Stahl, Landesverband der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe Baden, sprach mit Dr. Martina Rapp, die der Kindergruppe aktiv und fachlich zum Erfolg verhalf.
Frau Dr. Rapp, kennen Sie die Broschüre „Kindern von Suchtkranken Halt geben“?
Dr. Rapp: Ja, ich finde diese Broschüre sehr lebensnah und hilfreich.
Würden Sie bitte sich und Ihre Funktionen in der Suchthilfe vorstellen?
Dr. Rapp: Mein Name ist Dr. Martina Rapp. Ich bin psychologische Psychotherapeutin in der Fachklinik Fischerhaus in Gaggenau-Michelbach sowie in der Beratungsstelle der Diakonische Suchthilfe Mittelbaden eGmbH. Meine Arbeitsgebiete sind dort Beratung/Behandlung bei Alkoholabhängigket, Einzel- und Gruppentherapie in der ambulanten Rehabilitation, Beratung bei Essstörungen, Kindergruppen. Bei der Fachberatung und mit den Kindergruppen arbeite ich mit dem Freundeskreis Karlsruhe zusammen.
Ihr Engagement bei der Kindergruppe Regenbogen interessiert uns themenbezogen natürlich besonders. Seit wann haben Sie die fachliche Leitung und wie viele Personen arbeiten dabei mit?
Dr. Rapp: Ich übernahm die Kindergruppe Regenbogen 2010. In Karlsruhe arbeiten wir mittlerweile in drei Gruppen mit drei Kollegen, teilweise begleitend oder eigenverantwortlich.
In welchem Zustand haben Sie die Kindergruppe übernommen und wie läuft sie heute?
Dr. Rapp: In der Gruppe waren anfangs meist zwischen einem und drei Mädchen, die in der Lage sein mussten, selbständig in die Gruppe zu kommen. Für die Mädchen war die Gruppe ungeheuer wichtig. Leider konnte kein so guter Gruppenzusammenhalt entstehen und die Gruppe konnte auch nicht wachsen, da die Kinder davon abhängig waren, dass diese in unmittelbarer Wohnortnähe stattfand oder ein Erwachsener sie zuverlässig brachte und abholte.
Heute haben wir eine Gruppe mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren, der wir den Namen „Kindergruppe Wolkendrachen“ gegeben haben, eine Mädchengruppe im Alter zwischen zehn und 14 Jahren, die „Kindergruppe Regenbogen“ und eine „Jungengruppe“. Diese Untergliederung ist ideal. Die kleinen Kinder brauchen eine andere Sprache und Herangehensweise als die größeren. Bei älteren Kindern benötigen Jungen eine andere Vorgehensweise als Mädchen. In unseren Gruppen sind immer zwischen 15 und 20 Kinder.
Was sind oder waren die hauptsächlichen Schwierigkeiten, die Kindergruppen am Laufen zu halten?
Dr. Rapp: Wie ich schon zuvor erwähnte, konnte die Kindergruppe Regenbogen früher nicht wachsen und keinen Zusammenhalt bilden, weil nur wenige Kinder aus dem direkten örtlichen Nahbereich teilnehmen konnten. Kinder können nicht selbstständig kommen. Sie sind, auf die Mobilität bezogen, die schwächsten Glieder der Kette. Sie müssen daher in jeder Hinsicht „abgeholt“ werden – sowohl inhaltlich als auch ganz praktisch. Dies zuverlässig zu gewährleisten, stellt aber bei suchtbelasteten Familien, die ohnehin im Alltag ständig Krisen bewältigen müssen, häufig eine Überforderung dar. Wenn die Kinder aber erst einmal alt genug sind, dass sie u.U. im Dunkeln, alleine mit Bus oder Bahn nach Hause fahren können, schließen sie sich nach der Schule sicher keiner Gruppe mehr an, um über Probleme zu reden. Sie gehen dann ihre eigenen Wege, möglicherweise in ihre eigene Abhängigkeit.
Wir brauchen Aktivitäten, die die Kinder und Jugendlichen noch vom Smartphone und Laptop wegholen können: draußen in der Natur, mit Tieren, selbst ‘was Kochen, Gemeinschaft erleben, das gehört alles dazu. Man kann sich mit vielen Kindern nicht einfach in einen Raum setzen und sagen: „jetzt rede mal!“. So funktioniert das nicht!
Um das Ganze für die Kinder attraktiv, nachhaltig und wirksam zu gestalten, braucht es mehr als eine Person, die die Kindergruppen organisiert und leitet. Neben dem Fahrdienst braucht es Räumlichkeiten, in denen die Kinder toben, reden und sich auf unterschiedliche Art ausdrücken können. Wir hier haben Reittherapiepferde, die verlässlich und kindgerecht ausgebildet sind und eine Mitarbeiterin, die für die Kinder kocht. Solche von außen kaum sichtbare Zusatzleistungen, wie z.B. der „Abholdienst“, müssen auch erbracht und finanziert werden.
Wie wird das Ganze finanziert?
Dr. Rapp: Das Projekt „Familienorientierte Suchtprävention“ (FOS) mit der Kindergruppe „die kleinen Füchse“ in Achern, das ich mit einer Kollegin leitete, musste nach vier Jahren eingestellt werden, weil die Laufzeit zu Ende war. In Karlsruhe bekommen wir dagegen einen festen Sockelbetrag von der Stadt Karlsruhe, so dass ich mit 25% meiner Arbeit das Projekt Kindergruppe Regenbogen dauerhaft durchführen kann.
Im Übrigen sind wir auf Sponsoren, wie die Fa. Geocom angewiesen, die die Kindergruppe „Wolkendrachen“ langfristig komplett unterstützt. Die Angebote für die anderen Gruppen sind letztlich immer von Kürzungen bedroht, wenn nicht weiter Sponsoren ins Boot geholt werden können.
Was tun Sie mit den Kindern – und was soll es bewirken? Handelt es sich hierbei bereits um therapeutische Maßnahmen oder um eine gezielte Prävention?
Dr. Rapp: Wir legen zusammen mit den Kindern Gruppenregeln und Aktivitäten fest, sodass ein Gruppenzusammenhalt entsteht. Mittlerweile mache ich zu Beginn der Kindergruppen „Wolkendrachen“ und „Regenbogen“ immer Reittherapie in der Gesamtgruppe. Am Anfang lernen die Kinder miteinander Absprachen zu treffen, wer was macht. Das kleine Pony kann geführt und ihm kleine Lektionen beigebracht werden. Auf dem größeren Reittherapiepferd können sich die Kinder hinlegen, entspannen, im Galopp durch Halle oder über Wiesen reiten, manchmal freihändig mit ausbereiteten Armen. Das können die Kinder mittlerweile, obwohl wir keinerlei Reitunterricht machen, einfach weil sich ein gutes Körpergefühl entwickelt hat und Vertrauen zu sich und dem Pferd.
Danach wird gemeinsam gegessen und dann geredet. Wir machen Gesprächsrunden, in denen es um die Befindlichkeit und all‘ das geht, was Belastendes zu Hause oder in der Schule geschehen ist. Hier wird kein Kind gedrängt, zu reden. Allerdings müssen wir das Thema Sucht aktiv einbringen, immer wieder, denn es ist ein Tabu. Die Kinder würden es meistens ausblenden, sie benötigen ohnehin einige Sitzungen, bis das unangenehme Schamgefühl zu reden, nachlässt. Diese Gesprächsrunden sind dann schon therapeutisch. Wir nutzen Elemente des Gruppenmanuals „Trampolin“ nach Prof. Michael Klein. Den Kindern wird dabei ihrer Situation entsprechend näher gebracht, was Sucht ist, dass sie keine Verantwortung dafür tragen, sondern die Eltern und wie sie sich Hilfe holen können. Es ist weniger wichtig, alles zu sagen, als vielmehr einen Weg zu finden, sich innerlich wieder zu beruhigen. Und da habe ich mittlerweile wirklich Hochachtung vor den Kindern, wie die sich auch gegenseitig trösten können. Das ist einfach der Effekt von Gruppen; wenn sie funktionieren, sind sie unglaublich heilsam und wirksam. Und Kinder können das sehr gut annehmen, wenn man den richtigen Rahmen bietet. Das kostet eben einiges, aber das Resultat beinhaltet dann alles im Komplettpaket: Gesundheitsprävention, Suchtprävention, Vermittlung sozialer Kompetenzen.
Sie haben eine Ausbildung als Reittherapeutin. Hatten Sie diese schon vor dem Engagement bei der Kindergruppe oder haben Sie diese dann dafür im Rahmen einer Fortbildung gemacht?
Dr. Rapp: Ich durfte die Ausbildung mit dem Therapiepferd gemeinsam vor über zehn Jahren von und für die Fachklinik Fischer-Haus machen. Dort arbeitet man mittlerweile seit Jahren erfolgreich auch mit Erwachsenen und Tieren therapeutisch, bekommt über die Tiere einen ganz besonders guten Zugang zu Rehabilitanden. Für die Kindergruppen kann ich diese Ausbildung jetzt wirklich sehr gut brauchen.
Reiten, Spielen, der Transport der Kinder; da sind zwangsläufig abstrakte Gefahrenmomente gegeben. Sind die Kinder und die „Macher“ versichert?
Dr. Rapp: Wir sind über den Anstellungsträger versichert und auch ich selbst als Reittherapeutin, die Pferde als Therapiepferde.
Was würden Sie sich zur Fortführung der Kinderarbeit im Suchtbereich wünschen?
Dr. Rapp: Jede Suchtberatungsstelle sollte Kindergruppen haben. Kommunen und Städte sollten das flächendeckend zur Auflage machen und dann natürlich als hochspezialisierten Dienst der Beratungsstellen auch mitfinanzieren. Sucht ist eine Familienkrankheit, das ist seit Langem bekannt. Familienorientiert zu arbeiten ist einfach besser. Ein Schlüssel für das Funktionieren ist aus meiner Sicht auch die Einstellung, dass man die Strukturen für gelingende Kindergruppen schlicht schaffen muss; das ist unsere Aufgabe, es darf da kein „es funktioniert nicht“ geben. Und schon gar nicht die Einstellung: „wenn keine Kinder zu uns kommen, dann machen wir eben nichts“.
Nach dem nun nicht mehr neuen Gesetz zur Kindeswohlgefährdung muss jeder bei drohender Kindeswohlgefährdung aktiv werden. Und aktiv werden heißt doch nicht immer nur die ganz akut lebensbedrohlichen Missstände sehen und möglichst die Kinder schnell aus ihrem Umfeld herausnehmen. Es sind doch auch anhaltende Belastungen entwicklungs- und damit kindeswohlgefährdend. Dieser Gefährdung kann man sehr effektiv begegnen, indem man die Familie als Gesamtes behandelt, langfristig, damit nachhaltig und ohne schädigende Beziehungsabbrüche. Das können nur Suchtberatungsstellen, da sie ein breit gefächertes Angebot besitzen und letztlich auch den Eltern Angebote machen und Behandlungen vermitteln können.