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In Deutschland gibt es ca. 1,4 Millionen Medikamentenabhängige. Die geschätzte Anzahl ist in etwa gleich hoch wie die geschätzte Anzahl an Alkoholabhängigen. In den Statistiken der Freundeskreise tauchen aber reine Medikamentenabhängige nur mit einem Anteil von unter 2 % auf, und dies, obwohl Freundeskreise in ihren Hilfsangeboten immer oder zumeist auf Medikamentenabhängigkeit hinweisen. Fragt man in den Beratungsstellen nach, so ist dort die Nachfrage nach Suchtberatung durch Medikamentenabhängigen ebenso gering.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig – dies könnte in einem eigenen Themenkomplex einmal beleuchtet werden. Hier nur eine kleine Auswahl:
Nun sollen hier Medikamente keinesfalls prinzipiell verteufelt werden. Argumente für und wider den Einsatz von Medikamenten finden sich noch in dem nachfolgend beschriebenen Referat.
Die Tatsache, dass nur eine so verschwindend geringe Anzahl das Hilfsangebot der Freundeskreise suchte, führte bis heute dazu, dass man diese Hilfesuchenden in die normalen Gruppen aufnahm und nur ganz allgemein auch mit dem Hinweise auf Gemeinsamkeiten mit Alkoholabhängigen auf ihr Suchtverhalten eingehen konnte, ohne die spezifischen Anreize und Wirkungen ihres Suchtmittels zu berücksichtigen. Wenn man Glück hatte, war da schon ein anderer Medikamentenabhängiger in der Gruppe und wenn man noch mehr Glück hatte, gab es auch schon einmal eine(n) ausgebildete(n) Gruppenleiter(in) mit einer Medikamentenabhängigkeit.
Nachdem sich die Freundeskreise immer mehr auch für andere Süchte geöffnet haben, steigt vor allem bei jüngeren Suchtkranken der Teil derer, die eigentlich schon fast jedes Suchtmittel einschl. diversen Medikamenten konsumiert haben. In diesem Zusammenhang kommen auch immer häufiger Gruppenmitglieder in die Freundeskreise, die aufgrund eines entsprechenden Drogenkonsums unter Psychosen leiden, die medikamentös behandelt werden (müssen). Aber auch die neue Volkskrankheit „Depression“ ist in den Gruppen weit verbreitet und hier kommen zur Behandlung ebenfalls häufig Medikamente zum Einsatz. Und so wird es für nicht sachkundige Gruppenteilnehmer immer schwieriger, zu beurteilen, inwieweit ist jetzt jemand, der Medikamente zur Behandlung einer dieser Erkrankungen einsetzt, noch abstinent oder schon in Gefahr, von einem neuen Suchtmittel abhängig zu werden oder bereits abhängig zu sein. Um dieser mangelnden Sachkenntnis entgegenzuwirken hat der Freundeskreis Karlsruhe eine Initiative gestartet, die der Weiterbildung der Gruppenleiter in diesem Bereich dienen soll. Als erstes sichtbares Ergebnis dieser Initiative hat der Bundesverband der Freundeskreise die letzte Ausgabe seines „Freundeskreis-Journals“ (1/ 2011) dem Thema Medikamentenabhängigkeit gewidmet. Aber auch der Landesverband Baden hat schnell reagiert und bereits im April dieses Jahres seinen Mitarbeiterfachtag zu diesem Thema abgehalten. Die Veranstaltung fand am 17.04.2011 im Therapiezentrum Münzesheim statt und als Referent konnte der Leiter der Klinik, Dr. Martin Beutel, gewonnen werden.
Medikamente sind keine Erfindung der Neuzeit. Schon in grauer Vorzeit wurden bestimme pflanzliche Wirkstoffe zur Heilung, Vorbeugung und Linderung von Krankheiten eingesetzt. Und schon immer gab es auch berauschende Arzneimittel. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die frühen Schamanen sowohl Heiler als auch Priester waren, weil sie hinter der bewusstseinsverändernden Wirkung mancher Stoffe eine spirituelle Macht zu erkennen glaubten. Heute gibt es in Deutschland ca. 50.000 Arzneimittel, ein Arzt kennt davon ca. 1.000, davon aber wieder nur 50-100 sehr gut. Nur etwa 4-5 % der 50.000 Arzneimittel haben ein Suchtpotential, wobei auch hier die Erkenntnis des Arztes und Philosophen Paracelsus (1493-1541) anwendbar ist, die da lautet: „Die Dosis macht das Gift“. Die Definition, wann eine Abhängigkeit von Medikamenten vorliegt, ist dabei ähnlich wie beim Alkohol:
Man kann Medikamente in fünf Gruppen aufteilen:
1. Schlaf- und Beruhigungsmittel
Dies können anhand ihrer Wirkstoffe in sechs Gruppen aufgeteilt werden:
1.1. Benzodiazepine
1.2. Zolpidem und Zopiclon
1.3. Pflanzenextrakte
1.4. Chloralhydrate
1.5. Doxylamine
1.6. Barbiturate
1.1. Benzodiazepine
Als Benzodiazepine bezeichnet man eine Gruppe von Wirkstoffen, die u. a. in sogenannten Tranquilizern wie Librium und Valium enthalten sind. (Als Tranquilizer wird wiederum eine Gruppe von Medikamenten bezeichnet, die angstlösend und entspannend wirken. Darüber hinaus wirken Benzodiazepine erregungshemmend und schlafanstoßend. Zu den Einzelwirkstoffen der Benzodiazepine gehören u. a. Diazepam und Lorazepam, zu den bekanntesten Medikamenten, die Benzodiazepine enthalten, zählen außer den schon genannten Librum und Valium u.a. noch Tavor, Bromazanol und Adumbran, Lexotanil. Die Risiken und Nebenwirkungen bei Benzodiazepinen bestehen u. a. aus einer herabgesetzten Reaktionsfähigkeit und Gangunsicherheit. Eine Gewöhnung setzt bereits nach 14 Tagen ein, so dass die Medikamente nach kurzer Zeit abgesetzt werden müssen bzw. nur noch zur Vermeidung von Entzugserscheinungen eingesetzt werden sollten. Da die Wirkstoffe im Fettgewebe des Körpers abgelagert werden und sich dort anhäufen (kumulieren), ist der Entzug von diesen Präparaten extrem hart und langwierig - er kann bei Valium bis zu drei Wochen dauern, bei Tavor kann man sogar nach einem Jahr noch unangenehme Entzugserscheinungen spüren.
Ein Vorteil der Benzodiazepin-Präparate ist, dass eine Überdosierung nicht tödlich wirken kann.
1.2. Zolpidem und Zopiclon
Diese Wirkstoffe werden als Alternative zu den Benzodiazepinen eingesetzt. Sie haben ein gutes schlafanstoßendes Profil, aber gravierende Nebenwirkungen wie visuelle Wahrnehmungsstörungen, Psychosen und Amnesie. Dennoch nimmt die Verordnung dieser Medikamente zu ebenso wie deren Missbrauch.
1.6. Barbiturate
Diese werden heute kaum noch verschrieben, da eine Überdosis tödlich sein kann. Schlafmittel, die Barbiturate enthalten wurden deshalb auch häufig bei Suiziden eingesetzt.
2. Schmerzmittel
Schmerzen sind ein Warnsignal dafür, dass im Körper irgend etwas nicht stimmt. Allerdings gibt es auch ein Schmerzwahrnehmungsproblem durch einen „Programmierfehler“ im Gehirn, ein sog. Schmerzgedächtnis. Der Mensch nimmt Schmerz wahr, obwohl alles in Ordnung ist. In solchen Fällen sollte man sich eine Schmerzbehandlung wohl überlegen. Bei Kindern sollte man aber Schmerzen in jedem Fall behandeln, damit diese nicht chronisch werden.
Schmerzmittel werden in 3 Gruppen unterteilt:
2.1. Peripher wirkende Schmerzmittel
2.2. Zentral wirkende Schmerzmittel
2.3. Migränemittel
Die Wirkungen von peripher wirkenden und zentral wirkenden Schmerzmitteln sind etwas gleich stark; bei chronischen Schmerzen beträgt die Schmerzreduktion allerdings nur ca. 10-15 %. Opiate (zentral wirkend) wirken nur 3-4 Monate lang, danach bekämpfen sie nur noch die Entzugserscheinungen. Eine Ausnahme bildet hier der Einsatz gegen Tumorschmerzen. Nach einem Stufenschema der WHO werden bei Tumorschmerzen die Mittel wie folgt angewendet:
Stufe 1 – leichte Schmerzen > periphere Schmerzmittel
Stufe 2 – mittlere Schmerzen > schwache Opiate ggf. + Stufe 1
Stufe 3 – starke Schmerzen > starke Opiate + ggf. Stufe 12.1. Peripher wirkende Schmerzmittel
Die dort enthaltenen Wirkstoffe sind z. B. Acetylsalecylsäure (Aspirin), Paracetamol und Ibuprofen (Dolormin). Aspirin wirkt entzündungshemmend, d.h. es hilft auch gut gegen Erkältung. Es greift allerdings den Magen an und verdünnt das Blut, daher sollte es nicht vor einer Operation oder vor dem Zahnarztbesuch eingesetzt werden. Ibuprofen ist entzündungshemmend, gut schmerzlindern, greift ebenfalls den Magen an, aber es ist nicht blutverdünnend. Eine Abhängigkeit von diesen Wirkstoffen ist nur in Kombination mit Coffein möglich, das z. B. in dem Medikament Gripostad enthalten ist. Solche Kombinationspräparate sind unbedingt zu meiden, auch sollten andere peripher wirkende Scherzmittel nie in Kombination mit Kaffee eingenommen werden. Bei gelegentlich auftretenden Schmerzen wie Grippe und Kopfschmerzen ist die Einnahme dieser Medikamente aber unbedenklich.
2.2. Zentral wirkende Schmerzmittel
hierzu gehören
- Opiate
- Opioide (z. B. Codein, das auch in Hustenmittel enthalten ist, Buprenorphin, Fentanyl, Tramadol)
- Morphine
Opiate, Opioide und Morphine machen abhängig. Der Entzug ist sehr langwierig und schwierig. Auch nach dem Entzug und bei Abstinenz hat der Körper, wie beim Alkohol, ein Suchtgedächtnis.
3. Stimmulanzien
Grundsätzlich kann man von allen Stimmulanzien abhängig werden. Hierzu gehören u. a. auch Koffein und Appetitzügler. Häufig eingesetzte Stimmulanzien sind
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass MDMA, heute vor allem in der Partydroge Ecstasy enthalten, ursprünglich als Appetitzügler entwickelt wurde. Einen ähnlichen Hintergrund hat Amphetamin, das bereits 1930 gegen Schnupfen entwickelt wurde und sich heute in der Partydroge Speed wiederfindet. Methylphenidat ist ein Wirkstoff, der in Medikamenten (z.B. Ritalin) gegen ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) enthalten ist. Bei richtiger Dosierung ist es nicht suchgefährdend. Im Gegenteil entwickeln hyperaktive Kinder, die richtig behandelt wurden , weniger Suchtpotential als unbehandelte ADHS-Kinder.
4. Psychopharmaka
Streng genommen gehören Stimmulanzien auch zu der Gruppe der Psychopharmaka, da sie Stimmungen und somit auch die Psyche beeinflussen. Die Trennung, die hier vorgenommen wurde, separiert Medikamente, die bei echten psychischen Störungen verordnet werden und die auch nicht abhängig machen. Man unterscheidet zwischen Neuroleptika, die gegen Psychosen, wie z. B. akute Schizophrenie, und Antidepressiva, die gegen Depressionen eingesetzt werden.
Bei dem auch in unseren Gruppen immer wieder aufkommenden Thema „Depressionen“ sei anzumerken, dass in neuerer Zeit nur noch zwischen leichten, mittleren und schweren Depressionen unterschieden wird. Während bei manchen Formen und Stadien von Depressionen, wie z. B. schwere Depression mit Suizidgefahr oder manischen Depressionen ein Einsatz von Antidepressiva unverzichtbar ist, kann bei einer leichteren Depression eine Psychotherapie genauso gut wirken wie die Einsatz eines geeigneten Medikaments.
5. Alkohol in Medikamenten
Verdächtige Mittel, die Alkohol enthalten könnten, sind alle flüssigen Medikamente, insbesondere Naturheilmittel/Pflanzenextrakte. Wichtig ist der Hinweis, dass Tabletten keinen Alkohol enthalten (können)!
Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, ist die Materie doch sehr komplex und konnte auch nicht in allen Einzelheiten ausführlich durchleuchtet werden. Es stellt sich daher die Frage, wer kann sich das alles merken. Daher hier der Versuch eines kurzen Überblicks in Form einer Tabelle.
Uwe Aisenpreis